Die Stadtverwaltung prüft aktuell, ob eine Videoüberwachung am ZOB möglich und sinnvoll ist. In unserem Dossier beleuchten wir die rechtlichen, technischen und praktischen Aspekte dieser Maßnahme. Hier finden Sie alle Informationen zu unserer Recherche.
Videoüberwachung im öffentlichen Raum ist ein kontroverses Thema, bei dem eine Balance zwischen Sicherheitsinteressen und Datenschutzrechten gefunden werden muss. In Deutschland ist die Videoüberwachung stark rechtlich reguliert, wobei Gesetze wie das Datenschutzrecht und das Grundgesetz, sowie spezifische Überwachungsregelungen greifen. Technologische Fortschritte der letzten Jahre haben die Effizienz und Anwendungsbereiche der Videoüberwachung deutlich erweitert. Gleichzeitig werden regelmäßig Pilotprojekte in Städten durchgeführt, um den Nutzen der Überwachungstechnologien zu evaluieren.
Rechtliche Grundlagen
Die Rechtsgrundlage für Videoüberwachung in Deutschland beruht auf dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG), der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) sowie auf den Landesgesetzen.
- Öffentliche Videoüberwachung: Staatliche Behörden, wie die Polizei und Kommunen, dürfen öffentliche Orte wie Bahnhöfe, Flughäfen oder belebte Stadtzentren überwachen, wenn dies zur Gefahrenabwehr notwendig ist. Die Überwachung muss verhältnismäßig und zweckgebunden sein, basierend auf dem Prinzip der Datensparsamkeit.[1]
- Speicherdauer: Laut DSGVO und BDSG dürfen Videoaufzeichnungen nur so lange gespeichert werden, wie es zur Erfüllung des Zwecks erforderlich ist. In der Praxis liegt die Speicherdauer häufig zwischen 48 und 72 Stunden, danach müssen die Daten gelöscht werden. Eine längere Speicherung ist nur dann zulässig, wenn sie zur Strafverfolgung notwendig ist.[2]
- Transparenzpflicht: Überwachungskameras müssen gut sichtbar sein, und Hinweisschilder müssen auf die Videoüberwachung hinweisen.
- Betroffenenrechte: Personen, die gefilmt werden, haben das Recht, Einsicht in die Aufzeichnungen zu verlangen und unter Umständen die Löschung der Aufnahmen, sofern keine berechtigten Interessen dagegenstehen.[3]
Rechte und Pflichten der Kommunen
Kommunen haben das Recht, öffentliche Plätze zu überwachen, um die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten. Dies beruht häufig auf dem Polizeirecht der Bundesländer. Die Überwachung muss jedoch immer verhältnismäßig sein. In der Regel setzen Kommunen Videoüberwachung daher an Kriminalitätsschwerpunkten wie Bahnhöfen oder anderen stark frequentierten Orten ein.
Pilotprojekte zur Videoüberwachung werden oft von Datenschutzbeauftragten überwacht und genehmigt, wobei besonderer Wert auf die Einhaltung der Datenschutzbestimmungen gelegt wird.[4]
Technische Möglichkeiten
Die Technik der Videoüberwachung hat sich in den letzten Jahren stark weiterentwickelt. Moderne Systeme beinhalten nicht nur passive Kameras, sondern auch Analyse-Software, die Bilder automatisch auswertet und bei bestimmten Ereignissen Alarm schlägt.
- Automatische Gesichtserkennung: Einige Systeme erkennen Gesichter in Echtzeit und gleichen diese mit bestehenden Datenbanken ab. Diese Technologie wird zur Terrorabwehr an Bahnhöfen oder Flughäfen getestet. Gesichtserkennung ist jedoch in Deutschland umstritten, da sie stark in die Privatsphäre eingreift.
- Verhaltensanalyse: Moderne Kamerasysteme können Bewegungsmuster analysieren und Anomalien wie schnelles Laufen oder längeres Verweilen in bestimmten Bereichen erkennen.
- Heatmaps und Personenzählung: Systeme zur Überwachung können „Heatmaps“ erstellen, die zeigen, wo sich viele Menschen aufhalten. Dies wird zur Analyse von Menschenströmen bei Großveranstaltungen genutzt.
Effizienz von Videoüberwachung: Studien und Belege
Zahlreiche Studien haben sich mit der Effizienz von Videoüberwachung beschäftigt, insbesondere in Bezug auf die Kriminalitätsprävention und -aufklärung.
- Kriminalitätsprävention: Studien zeigen, dass Videoüberwachung in belebten Stadtzentren und Bahnhöfen kurzfristig zu einem Rückgang der Kriminalität führen kann sowie das subjektive Sicherheitsempfinden erhöht.[5] Dieser Effekt wird oft als „Verdrängungseffekt“ beschrieben, da Kriminelle in weniger überwachte Bereiche ausweichen. Meta-Analysen von Walsh & Farrington (2003/2004) zeigten dennoch, dass die Kriminalität durch Videoüberwachung durchschnittlich um 21 Prozent reduziert wurde und sich bei Kfz-Diebstählen in Parkhäusern als besonders wirkungsvoll erwies. Hinsichtlich der Verhinderung von Gewalt in Stadtzentren oder im ÖPNV scheint die Videoüberwachung jedoch weniger geeignet zu sein.[6]
- Kriminalitätsaufklärung: Ein großer Vorteil der Videoüberwachung ist die nachträgliche Auswertung von Aufnahmen zur Aufklärung von Straftaten. So konnte beispielsweise der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin 2016 mithilfe von Videoaufnahmen schnell aufgeklärt werden.
- Kritik: Es gibt auch Studien, die darauf hinweisen, dass die Wirksamkeit von Videoüberwachung oft überschätzt wird. Eine Studie des Max-Planck-Instituts für Strafrecht aus dem Jahr 2008 zeigte etwa, dass Videoüberwachung nur begrenzt präventiv wirkt, da viele Straftaten wie Diebstahl durch Kameras nicht verhindert werden. Zudem zeigte die Studie auf, dass das subjektive Sicherheitsgefühl bei den Personen am ausgeprägtesten ist, welche am wenigsten Gefahr laufen Opfer zu werden. Oftmals wird gar ein Anstieg der Kriminalität wahrgenommen, obgleich die Kriminalitätslage im unmittelbaren Umfeld stagniert. [7]
Aktuelle Pilotprojekte in Deutschland
- Projekt in Mannheim: Hier wird ein intelligentes Videoüberwachungssystem getestet, das nicht nur Bewegungen erfasst, sondern auch analysiert, ob gefährliche Situationen wie Schlägereien entstehen. Alarme sollen automatisch ausgelöst werden, um sofortiges Eingreifen zu ermöglichen. 2023 wurde das Projekt aufgrund der positiven Resonanz und guten Ergebnissen um drei weitere Jahre verlängert.[8]
- Gesichtserkennung am Berliner Bahnhof Südkreuz: Dieses bekannte, 2017 gestartete Projekt testete die automatische Gesichtserkennung auf Bahnhöfen. Ziel war es, die Praxistauglichkeit der Technologie zu überprüfen und ihren Beitrag zur Kriminalitätsaufklärung zu bewerten. Es stieß auf erhebliche Kritik von Datenschützern[9], lieferte aber auch Erkenntnisse zum aktuellen Entwicklungsstand und der Machbarkeit solcher Technologien. Der damalige Innenminister De Maiziere nannte die Ergebnisse „erstaunlich treffgenau“.[10]
Schlussfolgerung
Die Videoüberwachung im öffentlichen Raum bleibt in Deutschland ein vielschichtiges und rechtlich stark reglementiertes Thema. Während die Technik enorme Fortschritte gemacht hat und moderne Systeme in der Lage sind, Straftaten zu verhindern oder aufzuklären, bleiben Datenschutzbedenken bestehen. Pilotprojekte in Berlin und Mannheim zeigen, dass intelligente Videoüberwachung potenzielle Sicherheitsgewinne verspricht, diese jedoch immer mit den Grundrechten vereinbar sein müssen.
[1] https://keyed.de/blog/videoueberwachung-oeffentlicher-raum/; https://www.datenschutzkanzlei.de/videoueberwachung-was-ist-erlaubt-und-wo-sind-die-grenzen/
[2] https://www.dr-datenschutz.de/speicherung-von-videoaufzeichnungen-und-die-72-stunden-grenze/
[3] https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/videoueberwachung-oeffentlicher-raeume-sorgenkind-der-kommunen
[4] https://www.baden-wuerttemberg.datenschutz.de/videouberwachung-durch-offentliche-stellen/
[5] https://www.fluter.de/videoueberwachung-im-oeffentlichen-raum-pro-und-contra-argumente
[6] https://publikationen.uni-tuebingen.de/xmlui/bitstream/handle/10900/86933/2005_wirksamkeit_videoueberwachung.pdf?sequence=1&isAllowed=y
[7] https://www.landtag.nrw.de/Dokumentenservice/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMST16-4218.pdf
[8] https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/mannheim/videoueberwachung-kameras-videoschutz-polizei-mannheim-innenstadt-sicherheit-strobl-100.html; https://www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/mannheim/ki-videoueberwachung-mannheim-thema-bei-innenausschuss-bw-100.html
[9] https://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/gesichtserkennung-test-am-berliner-suedkreuz-beginnt-am-1-august-a-1160079.html
[10] https://www.tagesspiegel.de/berlin/ergebnisse-der-gesichtserkennung-erstaunlich-treffgenau-3889492.html