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Haushaltsrede Kreishaushalt 2020

Die Haushalte der Landkreise sind von den Strukturen und den Größenordnungen her vor allem Sozialhaushalte. Und es sind Haushalte, deren Regelungsinhalte in diesen Bereichen kaum von uns selbst, sondern vor allem vom Bundesgesetzgeber geschrieben werden.

Daran zu erinnern ist gerade dann notwendig, wenn niemand sich mehr der Einsicht verschließen sollte, dass eine Periode von fast zehn Jahren eines ununterbrochenen wirtschaftlichen Aufschwungs und parallel dazu steigender Steuereinnahmen jetzt ihrem Ende zugeht. Wir sind gut beraten, uns auch mit dem, was wir dem Landkreis an zusätzlichen Leistungen abverlangen wollen, an diese Entwicklung anzupassen.

Das kann nicht heißen, dass ein neuer Kreistag nicht auch neue Akzente setzen will und setzen wird. Und das gilt umso mehr, als die Mehrheitsbildung in diesem Kreistag offener geworden ist, weil die seit 1973 – also seit dem Bestehen des Landkreises in seiner jetzigen Form – bestehende absolute Mehrheit von Freien Wählern und CDU so nicht mehr besteht. Wir werden sehen, wie sich Mehrheitsbildung künftig vollzieht: Ich hoffe auf eine Kultur demokratischer Entscheidungs-prozesse, die von Respekt und Offenheit, von Dialogfähigkeit und gegenseitigem Lernen, und dem Wunsch, wo immer möglich auch zu einem gemeinsamen Vorgehen zu finden, geprägt ist.

Die notwendige Bescheidenheit bei der Formulierung zusätzlicher Anforderungen an unseren Haushalt entstammt mehreren Quellen:

  • Wir wissen nicht, welche zusätzliche Belastungen auf unsere Sozialhaushalte in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten zukommen, und welche Unterstützungen wir dabei von Land und Bund erhalten. Die Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes und der fortdauernde Aufwand für die Integration von Flüchtlingen sind aktuelle Stichworte, der steigende Aufwand für die Pflege, der die finanziellen Möglichkeiten von immer mehr Bürgern zu überfordern droht, ein Hinweis auf künftige Auseinandersetzungen.
  • Wir wissen, dass mit Ausbau der beruflichen Schulen und dem großen Zukunftsprojekt der Regionalstadtbahn erhebliche Zukunftsbelastungen auf uns zukommen, die der Frage nach der Belastbarkeit des Landkreises durch zusätzliche Kredite ein neues Gewicht verleihen. Wir werden es – nicht mit diesem Haushalt, aber für künftige Haushalte – mit großem Ernst diskutieren müssen.
  • Und wir wissen, dass wir für viele vermeintlich kleine Fragen Verantwortung tragen: für die gar nicht so selbstverständliche Unterstützung einer Vielzahl von Initiativen, Vereine und Institutionen im Bereich des Sozialen, der Jugendarbeit, der Gesundheit und der Kultur; für den ÖPNV und die Radwegenetze; für die Schulsozialarbeit und die Schülerbeförderung; oder auch -im Rahmen unserer Möglichkeiten – für das große Thema des Klimaschutzes – und das alles schlägt sich ja auch in den vorliegenden Anträgen der Fraktionen und Gruppen nieder.

Als der Haushalt erstellt wurde, gab es die Orientierungsdaten des Landes für die Haushaltsplanung 2020 noch nicht. Und so wurde uns am Tag der Einbringung des Haushalts mitgeteilt, dass aufgrund dieser Orientierungsdaten über die Ansätze des Haushalts-plans hinaus mit Mehrzuweisungen vom Land in Höhe von mehr als 4 Millionen € zu rechnen sei. Unsere Städte und Gemeinden finanzieren den Kreishaushalt durch ganz erhebliche zusätzliche Leistungen über die Kreisumlage; da aber auch die Städte und Gemeinden 2020 nicht mehr in der komfortablen Situation von 2018 sind – dem für die Bemessung der Kreisumlage maßgeblichen Jahr – halten wir es nur für fair, etwa die Hälfte dieser 4 Millionen den Gemeinde über eine Absenkung der Kreisumlage zurück zu geben.

Es verbliebe ein Spielraum für zusätzliche Leistungen in der Größenordnung von 2 – 3 Millionen € (abzüglich Vereinbarung Land / Kommunen, zuzüglich Grunderwerbsteuerveranschlagung)


Aus den Haushaltsberatungen der vergangenen Jahre sind ein paar Themen übriggeblieben, von den ich gehofft hatte, wir könnten jetzt einen Knopf dran machen:

Bei der Förderung der Schulsozialarbeit an Gymnasien durch den Kreis wir das so sein. Den Schlüssel von 1 Vollzeitkraft auf 800 Schüler als Fördermaßstab werden wir im Konsens beschließen.

Ich hatte gehofft, wir würden eine solchen Konsens auch über die Frage erreichen können, Kindern aus den (nicht nur einkommens-)schwächsten Familien ein Nahverkehrsticket, quasi als Mobilitätsgarantie, kosten-los zur Verfügung zu stellen. 150.000 € und eine Änderung unserer Schülerbeförderungskostenerstattungssatzung sollten den Weg dafür ebnen.

Und ich denke, wir sind gut beraten, jetzt die Grundlagen für eine Weiterentwicklung des ÖPNV im Landkreis zu legen: Grundlagen für eine Weiterentwicklung der Nahverkehrsplanung des Kreises, Grundlagen für eine verbesserte Infrastruktur für den ÖPNV, mehr Information über das, was unser ÖPNV über den Nahverkehrsplan hinaus schon heute leistet, und eine Personalverstärkung im Amt, die dies alles begleitet und möglich macht. Zusammen etwa 300.000 €, um jetzt das anstoßen zu können, was – auch unter Berücksichtigung der personellen Wechsel im Dezernat und in der Abteilung – im kommenden Jahr möglich erscheint.


Es ist ohne Zweifel bedauerlich, dass wir uns immer noch nicht darauf haben verständigen können, wie eine wirklich zukunftsfähige Regelung bei der Schülerbeförderungskostenerstattung aussehen könnte. Denn es ist nicht in Ordnung, dass der leitende Oberarzt, dank des Job-Tickets des Landes, günstiger zur Klinik kommt als der Schüler zur Schule, und dass auch die Studierenden – ebenfalls aufgrund von Landesregelungen, die einen Solidarbeitrag aller Studierenden erlauben – Busse und Bahnen günstiger nutzen können als Schülerinnen und Schüler. 

Zwei Gründe aber machen es schwer, zu einer Neuregelung zu kommen: Die immer noch laufende gerichtliche Auseinandersetzung um die Frage der Schülerbeförderungskostenerstattung, bei der unser Landkreis stellvertretend für alle Kreise und vor allem für das Land vor Gericht steht, steht vor Ort zu beschließenden Veränderungen massiv im Wege. Die Befürchtung, mit solchen Veränderungen zugleich – ohne es zu wollen – ein Zeichen zu setzen, das den Landkreisen insgesamt vor Gericht oder nach einer gerichtlichen Entscheidung zum Nachteil gereichen könnte, ist nicht ganz von der Hand zu weisen. 

Und der zweite Grund sind Unsicherheiten bezüglich der Haushaltsentwicklung des Kreises: Der Betrag von 342.000 € für 2020, den mehrere Fraktionen beantragt haben, wird 2021 – ein ganzes statt einem Drittel Jahr – zu einer knappen Million. Und zugleich wollen wir den ÖPNV qualitativ und quantitativ ausbauen – die genannten Anträge dokumentieren diesen Willen, der sich dann binnen kurzem auch in höheren Aufwendungen für den ÖPNV selbst niederschlagen wird; auch hier werden wir schnell in einen siebenstelligen Bereich kommen. Da will gründlich abgewogen werden, was wir uns leisten können und wollen.

Vor diesem Dilemma stehend hätte wir uns sehr gewünscht, diesmal den schon wiederholt gestellten Antrag, Schülertickets für Kinder aus den einkommens-schwächsten Familien – aus den Rechtskreisen des SGB II und XII und des Asylbewerberleistungsgesetzes – aus dem Geltungsbereich der Schülerbeförderungskostenerstattungssatzung herauszunehmen und ihnen – Stichwort Mobilitätsgarantie – diese Leistung im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets des Bundes auch ohne 3-km-Mindestentfernung zu gewähren, endlich durchsetzen zu können. Der harte Widerstand des Landrats, der dieses – bei seinem Städtetags-Präsidentenkollegen Kurz in Mannheim ja immerhin seit längerem praktizierte Modell – schlicht für rechtwidrig erklärte, hat mich erstaunt; aber er hat dazu geführt, dass man sich auch auf diesen Weg nicht hat verständigen können. Der Antrag wird absehbar erfolglos bleiben.


In vielen Bereichen mahnen die Kommunalpolitiker aller Parteien Hilfen des Bundes an – meistens zu Recht -, und sie kritisieren Land und Bund, wenn die Konnexitätsverpflichtungen – in der Landesverfassung explizit geregelt, mal wieder mehr als großzügig, und nicht im Sinne der Kommunen, interpretiert werden. 

Aber man muss auch loben können, was lobenswert ist. Der Digitalpakt ist ein Glücksfall für die Schulen, auch für die beruflichen Schulen des Landkreises, und der Ausbau der Förderung nach dem GVFG kommt – in der Dimension nicht zu erwarten – für uns genau zur richtigen Zeit. 

Das neue GVFG, dessen  Bewilligungsrahmen von heute 335 Mio. € bis 2025 auf 2 Mrd. € pro Jahr ansteigt, das eine Bundesförderung von 75 statt bislang 60% vorsieht – bei einem hoffentlich gleichbleibenden Landesanteil von weiteren 20% -, das in der Förderung auch eine Planungspauschale vorsieht, und das es leichter macht – Stichwort Innenstadtstrecken -, eine Förderung auch für solche Streckenabschnitte zu bekommen, die nicht vollständig auf eigenem Gleiskörper  verlaufen, dieses neue GVFG ist ein Glücksfall für unsere Region, und dass es gerade jetzt kommt, ein zweiter. Von einer Milliarde Gesamtaufwand für die Regionalstadtbahn – so hat man früher kalkuliert – würden 400 Millionen an den kommunalen Körperschaften hängenbleiben; jetzt werden es nur noch 150 Millionen sein. Auf drei Landkreise und 10 Jahre verteilt, reden wir von 5 Mio. € pro Jahr, also von einer Dimension, die dann doch durchaus vorstellbar ist.

Die Regionalstadtbahn Neckar-Alb ist einer Realisierung damit deutlich näher gerückt. Für jemanden, der sich wie ich seit mehr als 20 Jahren – mit Gerd Hickmann, mit Boris Palmer – für dieses Projekt eingesetzt hat, ist das schon ein Moment innerer Befriedigung, auch wenn ich genau weiß, dass das Schwierigste mit der Tübinger Innenstadtstrecke und dem von uns versprochenen Bürgerentscheid noch vor uns liegt. Ohne diese Innenstadtstrecken aber, auch Reutlingen gehört dazu, wäre diese Bahn eigentlich nur eines von vielen Elektrifizierungsprojekten, und nicht wirklich Regional-Stadt-Bahn.


Die Schule des Kreises genießen die besondere Wertschätzung des Kreistags. Kreisverwaltung und Kreistag haben sich in den vergangenen Jahren in besonderem Maße um das Schulwesen gekümmert. Auch bei schwierigeren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen genießt Investitionsprogramm für die beruflichen Schulen, in Tübingen wie in Rottenburg, alleroberste Priorität. Der Ausbau ist unumgänglich, damit die Schülerinnen und Schüler so lernen können, wie es die Arbeitswelt der 20er Jahre erfordern wird.

Der DigitalPakt Schule, vor einem Jahr noch in der Warteschleife des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat, wird dazu beitragen und  zusätzliche Möglichkeiten für unsere beruflichen Schulen bieten. In einer Region, die so stark dem wissenschaftlich-technischen Fortschritt verpflichtet ist wie die unsrige, ist ein rascher Fortschritt im Bereich der Digitalisierung auch ein ganz besonderer Beitrag zur Wirtschaftsförderung.


Schließen möchte ich mit einem großen Lob. Wer ab und zu anderswohin kommt, im Land und außerhalb des Landes, der weiß erst richtig zu schätzen, was hier – im Kreis wie in den Städten und Gemeinden – zur Aufnahme und Integration von Flüchtlingen getan wird, von den Hauptamtlichen in den Verwaltungen, und von den vielen, vielen Ehrenamtlichen genauso. Das ist wirklich vorbildlich; und wir alle können darauf stolz sein.

Und genauso will ich das loben, was die Kreisbau zur Ankurbelung des sozialen Wohnungsbaus auf den Weg gebracht hat. Lassen wir das nicht schlecht reden, was der Kreis und die Städte und Gemeinden hier tun, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen; und treten wir denen entgegen, die sozialen Wohnungsbau überall für richtig halten, nur nicht in der Umgebung ihrer eigenen Wohnlage.